V. Widmungen

Sie wusste woher

für Rose Ausländer

Sie wusste woher
aus dem Wald, dem Buchenwald, der Wald erfand sie
das Buchenland, das Mutterland
voll von grünen Geistern, Amseln, Heimat der Engel
Maikäfer
Der Fluss schlief nie, der Berg schlief nie
hütete sein Geheimnis und das kleine Glück
das manchmal wortlos passiert

und sie wusste wohin
in all den Jahren des Wanderns, des Schweigens
des Grauens, in den heimatlosen engellosen
Jahren, in der Städtekälte
in den Kellerjahren wusste sie

zurück zum Pruth, immer zurück zum Pruth
Ich schließe die Augen sehe dich Rose im Grünfluss baden

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Das große Heft

für Agota Kristof

War der Boden heiß? Klagte der Zaun und wer stand
am Hauseingang? Du bist gekommen
Kein Hund bellt zur Begrüßung, kein Lachen
aus dem Laden, du stehst vor einem Haus, war es deines?
Du pflückst Beeren am Wegrand, umkreist den Ort
hast den Klang der Schüsse im Ohr, die Augen der Verfolger
im Rücken, du spürst das Ticken der Stunden
der anderen Stunden, atmest die Luft von damals
den Windzug von jetzt, du weißt, so nah und so fern
kann alles sein, du siehst jenen Tag vor 40 Jahren
es ist ein anderer Tag, unaufdringlich blitzen
die Antennen in der Sonne auf
manchmal fällt ein gedämpfter Laut hinter
den Jalousien
Du bist zurückgekehrt, schweigsam, schattengleich
du kamst ins Schattenreich und die Gesichter
erscheinen dir als unerzählte Geschichten
du sagst leise aber der kleine Strauch frisch eingepflanzt
hört zu, du wiederholst leise: schade
Was war, was ist schade?
Die Antwort bist du dir selbst schuldig

Agota Kristof – schweizerisch-ungarische Autorin,
aus Angst vor der sowjetischen Repression hat sie 1956
die Grenze überquert, verfolgt von Soldaten

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Bertha von Suttner

Am Anfang waren Worte, deine Worte
Leicht und stark aus deinem Mund gefallen
drehten sich hin und her rollten windgetragen in alle
Richtungen der Welt

Und rein wie die Silben die man ein und ausatmet
die man beriecht in bunten Lichtschattierungen
und in Farben des Vertrauens

Man hat sie dann in allen Mündern hin und her gedreht
in Hundert Windsprachen falsch übersetzt
das Gegenteil ist entstanden

Wir müssen jetzt gehen über die grüne Ampel
das Meeresrauschen die Waldwellen zu den Stellen
wo sie in Schutt und Asche liegen
sie herausgraben behauen
wieder an den Anfang stellen, deine Worte

Und dann wird aus der Asche Stille
aus der Stille erklingt ein Gedicht
ein friedliches Gedicht

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Januar 2019

Zur Erinnerung an Rosa Luxemburg. Januar 1919

Der Tag riecht nach entblätterten Farben
Winterstaub, nach verschlossenen Mündern

Dein Buch vor mir
Hart der Buchdeckel, blutrot
zu hart, zu blutrot
Zwischen den Zeilen höre ich dein Herz schlagen
meines fügt sich hinzu und der laute Atem

Nur nicht zu unruhig sein
in dieser Landschaft ohne Eile:
„Alles wird gut werden, der Tag und die Nacht
schmiegen sich weich aneinander“

und weiter lesen
mir dich vorzustellen 100 Jahre später:
Schöne Frau? Groß mit zarten Händen?
Könnte ich ihre Schwester sein?

Zum Schweigen nicht gebracht
Immer auf alles vorbereitet mit einem milden Lächeln

Und nachdem die Welt
im letzten Gefecht versank
wusste sie: „Alles wird sich zum Richtigen wenden“

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In einem fremden Zimmer

Zur Erinnerung an Virginia Woolf

Ein Zimmer ohne Ausblick, ein gemietetes. In der Ecke
zitterte eine Spinne, draußen war der Wind, war
die Zeit, aus ihr hob sich der Raum ab, nicht allein
war ich, Worte Sätze rund um mich, sprangen zu mir
sangen, in den Ohren rauschten Stimmen,
der Kopf quellte berauscht, zu hastig,
zu viele Worte getrunken,
eine besondere Quelle, einen Kater hatte ich, die Kraft
hörte die Stille, das Rascheln der Bücherblätter,
Blatt für Blatt
in diesem Zimmer war ich und in ihrem mit Blick
auf den Garten, den Fluss, ihre großen Augen voll
von Zuversicht, Zweifel wie die meinen, ihre Berührung
war mehr als eine Berührung
ich wusste es musste kommen
die Flussströmung, die Steine unruhig wie damals
das Ufer blass vom ewigen Postieren, nur nichts sagen
jetzt, nicht laut oder leise, nicht unterbrechen dieses hier
der Raum war ausgefüllt, Blatt für Blatt,
die Spinne hängte sich ab, die Zeit wurde verlegt
ich hatte ein Zimmer für mich allein

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Auf der anderen Seite

für Noa Pothoven

Du bist angekommen, du wolltest immer hin
Er nahm dich freundlich auf
Ein Bad aus den schönsten Farben bereitete er vor
Die Haut ist rein
Das Himmelbett wiegt dich sanft
Keine Wünsche mehr
Der Himmel beschützt dich, die Erde konnte es nicht
Immer wieder ließ sie dich fallen
in den Schmutz, in die Angst fallen
Schwere Schwerelosigkeit
Jetzt bist du dort, der Himmel war deine Sehnsucht
Ein neues Leben
Ich sehe dich so fern und so nahe
In Samt und Seide gehst du verträumt
Lächelst der Erde zu: wach auf, sei wachsam
Die Sterne lächeln dir zu, dieselben Sterne
Die Sehnsucht für immer gestillt
Ich werfe das Geschriebene hoch hinauf, horche

Noa Pothoven: mit 11 sexuell missbraucht, mit 14 vergewaltigt.
Danach wollte sie nur sterben. Mit 17 Suizid

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für Greta Thurnberg

Worte
können Falten mindern
im Bauch flattern
wie Schmetterlinge
können knospen
verwaisen
können röcheln
sich verfärben
sich verbiegen
Worte werden
neu geboren
zum Mond fliegen
verwelken
scheiden
Gretas Worte
werden bleiben

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Ein gelbes Haus

für Gabriele Münter

du watest im Moos
bist ein Farn
hörst ein Lachen
es ist ein Bach
du stehst vor dem Haus
bist ein gelbes Haus

Du gehst
stolperst nicht
deinen Weg gehst du
nicht seinen
aber warum
sagt man Er
und sagt man
und warum lächelst du mich
nicht an
aus dem Bild

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Marianne Werefkin

Schwarze Frauen –
Wo gehen diese Frauen hin
in schwarzen Mänteln, Kopftüchern
wie die Kohlensortiererinnen
Wo gehen sie hin
einzeln und nacheinander
Lud sie der Berg ein?
Der leuchtende Nebel?

Frauen ohne Blumen
in den Haaren
ohne Schatten
schwache Frauen?

Und atmen die schwarze Luft
ohne zu klagen
oder lachen sie sich ins Fäustchen
wie die kleinen Mädchen?

Aus den Engen
Niemands Ländern gehen sie?
Oder stehen sie da,
zu einem Gruppenbild festgehalten?

Wer wird sie
in rosa Pastell kleiden
Welche Sonne wird ihre Köpfe
dem Boden zugeneigt streicheln?

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Ophelia

steigt aus dem Wasser: ich spiele nicht
mehr mit, genug von dieser OpheliaOpferRolle,
genug ins Wasser gegangen, ertrinken kann ich
nicht, habe das Schwimmen gelernt.
Und du spiel mir keinen Prinzen mehr vor,
diesen Narren, genug von den
blutdürstigen Spinnereien,
lieber die Göttliche Komödie.
Sie zieht ein helles Kleid an,
kramt in der Tasche, alles da, Badeanzug,
Kondome, Kamm.
Jetzt gehe ich die neuen Kleider kaufen,
später findet man mich in Aurelios Bar.
Und sie geht vorbei an einem Mann,
der Prinz heißt, der ihr noch lange nachschaut.

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